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«Arbeitgebende sollten den Mut haben, dynamische Ideen umzusetzen»

26.10.2022 - Autor:in: Karriere machen als Mensch

Nadja Hecht ist als Stv. Leiterin Pflege und Betreuung im Alters- und Pflegezentrum Feldheim in Reiden tätig. Im Interview spricht die Pflegeexpertin über ihre Arbeit in der Langzeitpflege, Palliative Care und den Fachkräftemangel in Pflegeinstitutionen.

Frau Hecht, was begeistert Sie an der Arbeit in der Langzeitpflege?

Die Langzeitpflege ist enorm vielseitig und vielschichtig. Es wird einem nie langweilig und man hat viele berufliche Optionen. Zudem glaube ich, dass die Langzeitpflege extrem viel Entwicklungspotenzial hat.

 

Mit welchen Herausforderungen sind Sie in Ihrem Alltag konfrontiert?

Mein Arbeitsalltag ist etwas unberechenbar. Ich weiss nie, was als Nächstes kommt, selbst wenn unsere Abläufe klar und strukturiert sind. Zudem kommen die Bewohner/-innen heute erst viel später zu uns als früher. Das bedeutet, dass sie oftmals viele Gebrechen haben und körperlich abhängiger sind. Dazu kommt, dass jeder Mensch auch immer eine unsichtbare Familiendynamik mitbringt. Das macht unsere Aufgabe, den Bewohner/-innen Zufriedenheit und Wohlbefinden zu ermöglichen, komplexer als meist gedacht.

Sie sind Expertin für Palliative Care. Was ist «Palliative Care» und wann darf man sie erhalten?

Palliative Care ist ein Teilgebiet der Langzeitpflege. Sie richtet sich an Menschen, die eine oder mehrere Erkrankungen haben, deren lindernde Behandlung im Mittelpunkt steht. Das können Menschen aller Altersstufen sein. Wir versuchen, die Lebensqualität der Betroffenen nach dem Leitsatz «Den Tagen mehr Leben, nicht dem Leben mehr Tage geben» zu fördern. Dabei spielen die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Werte der Personen eine zentrale Rolle. Am Schluss entscheidet immer die Person, nicht die Begleiterin. Diese Grundgedanken lassen sich in den drei Grundwerten der Palliative Care zusammenfassen: autonomes Entscheiden, Würde und Akzeptanz der Endlichkeit.

 

Weshalb braucht es die Palliative Care?

Sterben ist etwas, das jeden Tag passieren kann. Und in unserer Gesellschaft scheint es, als würden wir dies in unserem Alltag einfach ausblenden. Heutzutage sterben die Menschen still und im Privaten. Die Palliative Care hilft mit, dass das Sterben in unserer Gesellschaft mehr thematisiert und akzeptiert wird. Studien zeigen zudem, dass Personen, die mit Palliative Care begleitet werden, auch in der letzten Phase ihres Lebens weniger leiden und mehr Lebensqualität erleben.

Heutzutage herrscht in der Pflege ein enormer Fachkräftemangel. Wie ist die Situation im Feldheim Reiden?

Die Situation ist grundsätzlich stabil. Wir haben wenige Abgänge und konstante Teams. Und gibt es doch einmal Engpässe, lassen sich diese oftmals schnell auffüllen. Ich denke, das liegt auch an der Strahlkraft unserer Institution: Es ist ein grosser, regional verankerter Betrieb, der von zehn Gemeinden getragen wird. Zudem haben die Mitarbeitenden stets die Möglichkeit, sich einzubringen und wir bieten mit unserer Grösse auch gute berufliche Entwicklungsmöglichkeiten.

 

Was wünschen Sie sich als Pflegeexpertin von der Politik hinsichtlich der Langzeitpflege?

Es gibt immer mehr Pflegeinstitutionen, die erkannt haben, wie wichtig es ist, in die Pflegeexpertise zu investieren. Kleine Institutionen können sich das aber oftmals gar nicht leisten, obwohl die Netzwerkgestaltung ein tragendes Element in der Palliative Care ist. Zudem können wir mit dem aktuellen Bedarfserfassungsinstrument nicht alle unsere Leistungen abrechnen; insbesondere nicht Tätigkeiten im administrativen und beratenden Bereich sowie interprofessionelle Rapporte. Und zu guter Letzt bin ich mir auch nicht sicher, ob gemeinnützige Aktiengesellschaften für die stationäre Langzeitpflege förderlich sind, im Sinne von «Wir stellen das Wohlbefinden der Bewohnenden ins Zentrum unserer Bemühungen» anstatt gewinnbringende Umsätze. Hier sind die lokale und nationale Politik gefordert.

 

Und was wünschen Sie sich von den Arbeitgebenden?

Ich wünsche mir, dass sie den Mut haben, dynamische Ideen umzusetzen; auch etwas anderes auszuprobieren als das, was bereits bekannt ist. Die Institutionen müssen sich zudem fragen, was sie machen müssen, damit Menschen bei ihnen arbeiten wollen – sie dürfen aufzeigen, was sie zu bieten haben. Man kann die Verantwortung nicht immer an den Kanton und den Bund abgeben. Eine Organisation kann die eigene Entwicklung jederzeit in die eigenen Hände nehmen.