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Spitex Selva: «Arbeiten, wo andere Ferien machen»

8.10.2021 - Autor:in: Stefan Glantschnig

Anni Adam und Brigitte Illien sind Pflegefachfrauen aus Überzeugung. Beide haben Führungspositionen in der Spitex Selva im Graubünden und erzählen im Interview, was dieser Karrierepfad für sie ausmacht und welchen Reiz das einmalige Panorama der Bergregion ausmacht.

Sie sind beide in Führungsfunktionen, beide im Büro. Weshalb haben Sie sich für diesen Karrierepfad entschieden?

BI: Nach meiner Tätigkeit im Spital habe ich gemerkt, dass ich etwas Neues brauche. Dann hat sich eine Leitungsfunktion bei der Spitex ergeben. Auch wenn ich nicht mehr viel bei Klientinnen und Klienten bin, so finde ich die langfristige Begleitung bei der Spitex sehr schön. Man sieht Fortschritte und lernt Menschen richtig kennen.

AA: Ich kam eher zufällig in eine Führungsposition. Ich war und bin überzeugte Pflegefachperson und arbeitete in einem Akutspital. Parallel dazu wurde ich als Aushilfe für die Spitex angefragt. Nach der Zusammenlegung von verschiedenen Spitex-Organisationen übernahm ich die Co-Leitung der neu entstandenen Organisation, der heutigen Spitex Selva.

 

Was muss man für den Beruf der Einsatz- oder Geschäftsleiterin mitbringen, welche Qualifikationen und Skills sind erforderlich?

BI: Man sollte strukturiert, loyal und teamfähig sein, aber eben auch Durchsetzungsvermögen haben. Die Einsatzplanung erfordert viel flexibles und selbständiges Reagieren auf Situationen, weil sich die Auftragslage jede Minute ändern kann.

AA: Ich hatte bereits Führungserfahrung aus meiner privaten Vereinstätigkeit, das hat mir am Anfang sicher geholfen. Man braucht aber wirklich die Bereitschaft, sich weiterbilden zu wollen. Es braucht zwingend zusätzliche Fähigkeiten im Projekt- und Qualitätsmanagement, in der Personalführung und auch den Finanzen.

 

Vermissen Sie die Arbeit mit den Klientinnen und Klienten – den direkten Kontakt?

BI: Teilweise schon, ich vermisse auch medizinaltechnische Verrichtungen wie Verbände wechseln, Blut abnehmen, usw. Wenn ich das Bedürfnis habe, kann ich aber jederzeit zu Klientinnen und Klienten – meine Chefin (Anni) ermöglicht mir das. Spannend ist sicher auch, dass das Klientel bei der Spitex sehr vielfältig ist. Neben älteren Menschen versorgen wir auch jüngere, die nach einem Unfall temporär Unterstützung brauchen oder Frauen nach der Geburt.

AA: Ich vermisse die Arbeit immer wieder. Aber auch im Büro geht es immer noch um die Pflege und Betreuung von Menschen. Die Pflegetätigkeit fasziniert mich nach wie vor. Nun habe ich mehr mit den Mitarbeitenden zu tun und ermögliche ihnen, diesen Beruf bestmöglich wahrnehmen zu können. Das ist auch schön. Dabei hilft sicherlich, dass ich das Verständnis für den realen Beruf der Pflegefachperson und diese Lebenswelt habe.

 

Was gefällt Ihnen an der Langzeitpflege besonders gut?

AA: Man kann sich verwirklichen in der Langzeitpflege, menschlich und fachlich. Das Arbeitsfeld ist noch viel breiter und komplexer geworden und dennoch ist man nahe bei den Menschen. Die Selbstbestimmung der Klientinnen und Klienten steht im Zentrum. Bei diesem Prozess unterstützen zu dürfen und zu können, macht Freude.

Langzeitpflege Blog Spitex Selva

Anni Adam und Brigitte Illien

Frau Adam, Sie sind bereits sehr lange in der Langzeitpflege tätig, viele steigen nach 15 Jahren aus. Was sind Ihre Argumente und Beweggründe für eine längerfristige Tätigkeit in der Langzeitpflege?

AA: Diesen Grad an selbstständigem Arbeiten sucht man in im Akutspital vergeblich, genauso die Arbeitsplatzsicherheit. Die Behandlungsmethoden und Unterstützungsmöglichkeiten entwickeln sich immer weiter, es wird auch nach 20 oder 30 Jahren nicht langweilig. Die Menschen, die wir betreuen, und die fachlichen Qualifikationen, die das erfordert, ändern sich laufend. Viele jüngere Menschen denken leider immer noch zuerst an die Körperpflege von älteren Menschen. Die Realität bei der Spitex und in Heimen beinhaltet jedoch viele anspruchsvolle sowie komplexe Aufgaben, die fachliche Qualität erfordern und einen auch menschlich wachsen lassen. Es gibt auch Klientinnen und Klienten jeden Alters, die wir nach Unfällen betreuen, genauso wie Menschen mit einer Behinderung oder psychischen Problemen.

 

Frau Illien, Sie sind noch jung und bereits in einer leitenden Position. Haben Sie zusätzliche Weiterbildungen und Karriereschritte im Auge? Wenn ja, welche?

BI: Ich bin gerade am Vorbereitungslehrgang zur eidgenössischen Fachprüfung Teamleiter/in in sozialen und sozialmedizinischen Institutionen dran, den ich im Frühling 2022 abschliessen möchte.

 

Welchen Stellenwert hat die Spitex im Berggebiet für die Gesundheitsversorgung?

BI: Ich denke einen grossen, denn die Klientinnen und Klienten können dank uns lange zuhause bleiben. Meistens ist im Berggebiet auch die Verwandtschaft noch nahe. Diese Doppelbetreuung erlaubt es Menschen, praktisch bis ans Lebensende daheim zu wohnen. Das wird geschätzt.

 

Es herrscht Fachkräftemangel: Welchen Herausforderungen begegnen Sie bei der Suche nach geeignetem Personal?

AA: Die meisten Menschen, die bei uns eine Schnupperwoche absolvieren, sind erstaunt, wie spannend die Tätigkeiten sind. Deshalb sind solche Kampagnen wie «Karriere machen als Mensch» wichtig. Sie zeigen, was alles hinter den Berufen der Langzeitpflege steckt. Junge Pflegefachpersonen, die hochprozentig arbeiten wollen, sind schwierig zu finden. Wir haben deshalb von Anfang an auf Wiedereinsteigerinnen und -einsteiger gesetzt. Gewünscht wäre natürlich ein Spitexteam mit einer guten Durchmischung was das Alter sowie die Anstellungsprozente betrifft.

 

Der Weg zu Klientinnen und Klienten ist hier oben sicher auch schöner als in der Stadt…

BI: Das ist so. Für unsere Region sage ich nur: Arbeiten, wo andere Ferien machen. Und die Gegend zieht auch zusätzliche Klientinnen und Klienten an. Wir sind eine Ferienregion und übernehmen auch die temporäre Pflege und Betreuung von Touristinnen und Touristen.

AA: Uns ist eben genau auch wichtig, dass unsere Angestellten genügend Zeit für den Weg und bei den Klientinnen und Klienten haben. Wenn man aus dem Auto steigt und dieses Panorama sieht, soll man auch den Moment kurz geniessen können und so Energie tanken. Diese Wertschätzung unserer Mitarbeitenden ist uns sehr wichtig.